„Vor, vor, stop, rechts, geradeaus!“
Es ist Tag der offenen Tür in der Frankfurter Digitalwerkstatt. Inmitten einer quirligen Horde 6- bis 10-jähriger hat sich der „Trainer“ ein Roboterkostüm aus Pappmaché übergestülpt und wankt den Raum entlang. Die Stimmung ist bombastisch. Die Kinder steuern ihren Trainer: „Du musst vor, vor, neeeeinn, jetzt rechts“, hört man die Gruppe kreischen. Kurze Zeit später erfahren Eltern und Interessierte, dass die Kinder soeben ihre ersten Gehversuche in der Computerprogrammierung hinter sich haben.
Das dt. Bildungssystem hat einen langen Weg hinter sich – dennoch mangelt es der Politik an Willen, neue Konzepte und Formate flächendeckend einzuführen, die unsere Kinder sinnvoll auf das Leben von morgen vorbereiten. Der Philosoph Richard David Precht kritisiert unser Schulsystem für die anhaltende Fokussierung auf Wissensvermittlung, statt im Informationszeitalter auf Wertevermittlung zu setzen. Für Verena Pausder, Gründerin und Geschäftsführerin im Bereich EdTech, dauert die Digitalisierung an Schulen viel zu lang und so ermutigt sie Eltern, selbst etwas zu tun, um den Kindern den Zugang zu modernen Technologien und zur kritischen Auseinandersetzung zu ermöglichen. Steffen Haschler, engagierter Lehrer und Mitglied der Initiative „Chaos macht Schule“, fordert mehr Raum für Kreativität, Medienkompetenz und Unternehmertum.
Aber es regt sich was. Vorreiter für neue Bildungskonzepte zeigen, wie es gehen kann. Eine kurze (inter)nationale Spurensuche.
CreateSchools: projektbasiertes Lernen
Die in Tutzing am Starnberger See ansässige CreateSchools führt projektbasiertes Lernen, individuelle Förderung und Lernfreude als Kernpunkte an. Wissensvermittlung steht nicht mehr an erster Stelle, stattdessen werden Kompetenzen wie Reflektionsfähigkeit, Teamgeist, Problemlösefähigkeit und Wertschätzung vermittelt – im Einklang mit dem bayrischen Lehrplan. Ab der 1. Klasse wird in deutsch und englisch unterrichtet. IT ist von Beginn an fester Bestandteil. Die Ganztagsschule startet um 10:00, wobei die klassische Schulstunde abgeschafft ist – jedes Kind nimmt sich die Zeit, die es zum Lernen benötigt. Auch das klassische Benotungssystem hat ausgedient, denn wichtiger ist der individuelle Lernfortschritt. Schüler der CreateSchools können mit den international anerkannten IGCSE (mittlere Reife) oder den A-Levels (Allg. Hochschulreife) abschließen. Mentoren begleiten die Schüler auf ihren Weg.
Schule im Aufbruch: Bewegung für Transformation
Potentialentfaltung und nachhaltige Entwicklung sind Basiselemente der „Schule im Aufbruch“, eine Initiative der Evangelischen Schule Berlin. Das Meistern realer Herausforderungen, der Umgang mit Risiko & Scheitern, das Tragen von Verantwortung und aktives Gestalten stehen vor stumpfem Auswendiglernen. Schule im Aufbruch sieht sich als Bewegung für Transformation und ruft Schulträger, Lehrkräfte und Unterstützer dazu auf, das Konzept zu verbreiten und das wachsende Netzwerk zu etablieren. Nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ werden Schulen angeleitet, die Lernphilosophien vor Ort zu integrieren und auszubauen. Ein Big Bang ist gar nicht gewollt: entscheidender ist eine Transformation der Lernkultur, die den Schulen einen eigenen Weg der Umsetzung ermöglicht und ihre individuellen Stärken erhält.
Designathon Works: Design Thinking & Maker Education
Gegründet in den Niederlanden und aktuell in 25 Ländern vertreten, ersetzt Designathon Works kein vollständiges Bildungsprogramm, aber hat den Anspruch, von der OECD ausgerufene Schlüsselkompetenzen und Charaktereigenschaften zu fördern. Eine Gruppe von Kindern wirkt an einem Workshop mit Fokus auf Sozialem bzw. Umweltschutz mit – angelehnt an eines der 17 Global Goals der UN. Die Kinder werden an „Design Thinking“ und „Maker Education“ herangeführt, welche insb. auf methodischem Vorgehen zu Problemverständnis, Ideengenerierung, prototypische Umsetzung und kontinuierlicher Verbesserung beruhen. Schöner Seiteneffekt: das Fördern von Neugier, Spieltrieb und aktivem Handeln. Immer mit dabei ein Set von Mini-Motoren und Sensoren, damit Technologie im Zeitalter von Digitalisierung, KI, Automatisierung und Robotik nicht zu kurz kommt. Besonders gut: es gibt Kurse für Lehrer, um das Konzept und die Workshops in ihre Schulen weitertragen können.
Quest 2 Learn: Gamification
Ist Ihnen Gamification geläufig? Den Schülern der „Quest 2 Learn“ Schule (Q2L) in New York schon. Ab der 6. Klasse wird spielerisch gelernt, aber mit Methode. Studien zeigen, dass beim gemeinsamen Spiel Kollaboration, Interaktion und Versuchskultur gefördert werden. Menschen machen ungewöhnlich starke Lernerfahrungen, wenn sie auf Basis von Geschichten oder Rollenspielen ihre Kompetenzen erweitern – solange sie herausgefordert werden, komplexen Zusammenhängen auf den Grund gehen können und nach Fehlern weitermachen dürfen. Q2L setzt kuratierte Programme ein, die je nach Altersstufe unterschiedliche Befähigungen (fachlich wie sozial) herausarbeiten. So lernen die Schüler z. B. etwas über Biologie und Genetik, indem man sie zu Mitarbeitern eines Unternehmens macht, das Dinosaurier klont.
Zurück in der Digitalwerkstatt. Der 7-jährige Luis (Name geändert) rennt auf den Erfrischungsstand zu. Damit er für eine Apfelschorle und zwei Birnenspalten beide Hände frei hat, klemmt er sich das Kinder-Tablet unter die rechte Achsel. Einen Moment später ist er schon wieder bei den anderen Kindern. Bloß nichts verpassen im Programmierkurs.